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Max Slawinsky

freikirchl./bapt. Pastor, theol. Lehrer
* 1897   † 1940

Dr. Max Slawinsky

* 15.4.1897 Berlin
† 10.12.1940 in Finkenwalde bei Stettin
Verh. mit Ruth, geb. Wetzel, drei Kinder

Als Soldat im Ersten Weltkrieg schwer verwundet; 1918-1923 Studium der ev. Theologie an der Universität Berlin; 1922-1923 Prediger der Baptistengemeinde Berlin-Wattstraße; 1923-1925 theologischer Hilfslehrer am baptistischen Predigerseminar in Hamburg; 1925-1926 Promotionsstudium an der Universität Würzburg (Dr. phil); 1926-1931 theologischer Lehrer am baptistischen Predigerseminar in Hamburg; seit 1931 Prediger der Baptistengemeinde Stettin I bis zu seiner als Eisenbahnunfall getarnten Ermordung 1940.

Der Berufsweg von S. umfasste pastorale Gemeindearbeit und Lehrtätigkeit. Dabei beschränkte sich sein Interesse nicht auf die Theologie, und hier besonders das Alte Testament. In seiner soziologischen Dissertation untersuchte er darüber hinaus berufs-, konfessions- oder altersspezifisches Gruppenverhalten bzw. „Milieus“. Über den Freikirchen- und Gemeinschaftsprediger, also seine eigene Berufsgruppe, bemerkte S. dort, dass „völliges Aufgehen in einer kleinen Gemeinde bzw. Gemeinschaft ihn oft wie auf einer vom Kontinent abgeschlossenen Insel leben lässt |[...] so übersicht der Gemeinschaftsprediger völlig seine prophetische Aufgabe an der Hebung des Volksmilieus, die sozial-religiöse Arbeit [...] und vergisst, dass es auch Gegenwartsaufgaben für ihn geben könnte“ (M. Slawinsky: Milieupädagogik, S. 178 f.).

Aber S. beließ es nicht bei selbstkritischer Reflexion. Als eine Herausforderung - seine Herausforderung - für den christlichen Glauben betrachtete er die von den Nationalsozialisten forcierte Renaissance germanischer Mythologie im Dienst völkischer Ideologie. Dieser „Gegenwartsaufgabe“ nahm er sich in einer Reihe von Veröffentlichungen an: „Die unsichtbaren Gegenspieler im Geisteskampf der Weltgeschichte“ (1934), „Blut und Rasse im Licht der Bibel“ (1934), „Heldische Frömmigkeit. Siegfried oder Christus?“ (1934), „Vererbung und Gottesglaube“ (1935), „Bibel oder Edda?“ (1936). Bisher fehlt eine gründliche Untersuchung seiner Schriften; sie wäre ein Desiderat. Völkisches und christliches Gedankengut werden dabei nicht so schroff konfrontiert, wie die Gegenüberstellung in den Titeln teilweise vermuten lässt.

Vielmehr profilierte S. den christlichen Glauben im Kontext und sogar unter Verwendung von Begriffen und Motiven, die seinerzeit in der NS-Ideologie und darüber hinaus bei Zeitgenossen verbreitet waren. So deutete er beispielsweise in seiner „Christlichen Glaubenskunde“ (1940) das nationalistische Bekenntnis zur Überlegenheit der arischen Rasse im christlichen Sinne um: „Wir wollen Arier, d.h. Herren sein, die im Aufblick zu Gott Herr über alles Niedere im Menschen sind und in seiner Kraft die von Gott gewollten und angelegten Tugenden entfalten. Diese göttliche Kraft und Vollmacht, das Niedere unter unsere Füße zu treten und die Herrschaft über uns selbst zu haben, besitzen wir, wenn wir wahre Jünger Jesu, wahrhaft gläubige Christen sind.“ (S. 29) Ein Volk hat demnach seine Qualitäten nicht „im Blut“, wie die Rasselehre behauptete, sondern nur durch „göttliche Kraft und Vollmacht“. Diese Qualität erweist sich aber weniger in der Beherrschung anderer als vielmehr in der eigenen Selbstbeherrschung und Tugend. Die auf das Arier-Sein gerichteten Hoffnungen sind demnach im Christsein wahrhaft realisiert.

S.s Versuch einer Kontextualisierung des Evangeliums im Rahmen völkisch-nationalen Denkens sah sich, bei undifferenzierter Betrachtung, auch Missverständnissen ausgesetzt. Den Sicherheitsbehörden entging jedoch seine NS-kritische Verwendung von NS-Terminologie nicht. S. wurde daraufhin von der Gestapo überwacht und wiederholt zu Vernehmungen vorgeladen. Er provozierte nicht nur mit seinen Schriften, sondern auch durch sein Verhalten. Bekannt ist, dass er mit „Heil Christus“ grüßte, sich weigerte, zu Hitlers Geburtstag die Hakenkreuzfahne auszuhän gen und sich für ein aus politischen Gründen verhaftetes Gemeindemitglied einsetzte, Zunächst nur hinter vorgehaltener Hand wurden deshalb Zweifel an der offiziellen Version seines Todes geäußert: Am Abend des 10.12.1940 sei S. auf dem Heimweg von einem auswärtigen Predigtplatz der Stettiner Baptistengemeinde beim Überqueren der Gleise im Bahnhof Finkenwalde von einem rangierenden oder durchfahrenden Zug erfasst und getötet worden, den er bei Dunkelheit und Schneetreiben übersehen habe. Diese Version stützte sich auf Aussagen von zwei SS-Leuten, die sich mit ihm zusammen auf dem Bahnsteig befanden. SS-Leute übermittelten auch die Todesnachricht und verfassten eine Meldung für die örtliche Zeitung, während die Familie - wiederum auf Anweisung der SS - keinen Nachruf veröffentlichen durfte. Die SS ließ ferner den Sarg versiegeln und überwachte die Trauerfeier.

Vor seinem Tod geriet S. also mit Überzeugungen, Vorschriften und Organen des nationalsozialistischen Staates in Konflikt - nach seinem Tod führte offenbar die SS Regie. Die nahe liegende Vermutung, dass sie auch für seinen Tod verantwortlich war, wird durch einen seltsamen Vorfall im Jahr 1971 erhärtet. Anlass dazu gab die Veröffentlichung eines Berichtes über S. zusammen mit seinem Foto in der Zeitschrift „Die Gemeinde“. Ein Leser des Artikels (in einem Krankenhaus) erinnerte sich später an die spontane Reaktion eines Mitpatienten auf das Foto: „Das ist ja der Judenknecht, den wir auf dem Stettiner Bahnhof erledigt haben.“ Auch die Familie weiß von einer Begegnung im Krankenhaus. Ihrem Bericht nach könnte die Äußerung des Mitpatienten auch so zu verstehen sein, dass der Mord nicht auf dem Bahnhof geschah, sondern in einem nahen Lager. Insofern bleibt ein Rest an Unsicherheit in Bezug auf Ort und Art des Todes.

Ob das angebliche „Zugunglück“ Mord war oder nur den vorausgegangenen Mord tarnen sollte oder gar zu diesem Zweck erfunden wurde - die Anzeichen dafür, dass Prediger S. einem nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, haben sich jedenfalls zur Gewissheit verdichtet.

Ein Wiedergutmachungsantrag wurde deshalb in den 70er Jahren gestellt, aber wegen Verjährung abgelehnt. Weitere Ermittlungen wurden nicht angestellt, um Schuldige zur Rechenschaft zu ziehen. Aus Anlass seines 60. Todestages fand im Dezember eine Gedenkfeier in Hamburg-Rahlstedt statt, wo die Familie S. in den 20er Jahren lebte. Auf dem dortigen Friedhof befindet sich auch das Grab von S.



Quellen: OA: Nachlaß Max Slawinsky.

Literatur: M. Slawinsky: Milieupädagogik; R. Slawinsky Frömmigkeit; W. SCHRITT: Slawinsky; H. Saborowski: Nachruf

Foto: Die Gemeinde, 1971, Nr. 41.

H.V. Sadlack



Zitiert nach “Ihr Ende schaut an...” Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, S. 481f

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