röm.-kath. Propst
* 1875 † 1943
Bernhard Lichtenberg
Bernhard Lichtenberg wurde als zweiter Sohn einer katholischen Kaufmannsfamilie am 3.12.1875 in Ohlau (heute Oława) Niederschlesien geboren. Schon in seiner Jugend zeigte sich seine Fürsorge um Andere und sein großer Fleiß und Mut. Nach seinem Theologiestudium 1895-98 in Innsbruck und Breslau wurde er 1899 zum Priester geweiht und kam als dritter Kaplan nach Neisse. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde er nach Berlin Charlottenburg versetzt - für ihn ein großes Arbeits- und Missionsfeld. Nach einigen Stellen in Pfarreien wurde er Pfarrer der Herz-Jesu-Kirche in Charlottenburg und trat während des ersten Weltkrieges den Dienst als Militärgeistlicher in Charlottenburg an, wofür er die Verdienstmedaille des Roten Kreuzes bekam. Er setzte sich in vielfacher Weise für die Interessen der katholischen Minderheit ein. Zum einen war er Berliner Vorstand des Friedensbundes deutscher Katholiken, im Präsidium der Arbeitergemeinschaft der Konfessionen für den Frieden und zum andern auch Mitglied der Zentrumspartei, für die er im Stadtparlament sowie in der Bezirksversammlung saß.
Schon früh begann sein Widerstand gegen das NS-Regime. Er rief 1931 zum Besuch des Antikriegsfilms „Im Westen nichts Neues“ auf, woraufhin Goebbels mit der Hetze gegen ihn begann. Nach der Auflösung der Zentrumspartei wurde er verdächtigt, dass Haupt einer illegalen Zentrumspartei zu sein, sodass er bereits 1933 zum ersten Mal verhört und sein Haus durchsucht wurde. 1935 erreichte ihn ein Bericht über das KZ Esterwege, indem die Zustände darin beschrieben wurden und ihn in Entsetzen versetzen und zugleich zu einer Beschwerdeschrift veranlassten. So bewirkte er eine Stellungnahme des KZ-Leiters Theodor Eick und eine Antwort des stellvertretenen Gestapo-Leiters Werner Best. Daraufhin wurde Lichtenberg verhört, um die Quelle seiner Information zu finden, welche er jedoch nicht preisgab.
Er wurde 1931 Domkapitular, 1932 Dompfarrer und schließlich 1938 Dompropst und hatte damit eine einflussreiche, hohe kirchliche Stellung inne. Er betete schon bald bei jedem Abendgebet öffentlich „für verwundete, gefangene, gefallene Soldaten hüben und drüben, für den Frieden und um den Geist des Friedens, für die bedrängt getauften Juden, für die verfolgten Juden, für die Häftlinge, besonders für seine Amtsbrüder in den Konzentrationslagern…“ Ein weiterer recht bekannter Ausspruch stammt aus seinem Gebet zur Reichskristallnacht 1938: „Was gestern war, wissen wir. Was morgen ist, wissen wir nicht. Aber was heute ge¬schehen ist, haben wir erlebt. Draußen brennt der Tempel. Das ist auch ein Gotteshaus“, sprach er und schloss von nun an auch eine Fürbitte „für die nichtarischen Christen und für die Juden“ an sein Gebet an. Er stand in vielfacher Weise Verfolgten und Not Leidenden jedweder Religion und Nationalität bei, indem er sie entweder finanziell oder materiell unterstütze, bei sich wohnen ließ oder ihnen ein offenes Ohr schenkte und sich für sie einsetzte. Doch niemals vernachlässigte er über all diesem seine priesterlichen Pflichten. Er kümmerte sich um alle Hilferufe, ob Gefährdete oder Kranke, auch wenn dies bedeutete, über Zäune zu klettern und seine persönlichen Termine abzusagen.
So auch als ihn 1941 Berichte über das Töten von Geisteskranken erreichten, woraufhin er einen Brief an den Reichsärzteführer Dr. Conti schrieb, indem er ihn auf die Gesetzeswidrigkeit dieser Tötungen nach Staats- und Sittengesetz hinwies und Rechenschaft von ihm forderte.
Wie schon seine Taten und Briefe von Mut und einem energischen Charakter sprechen, so intensiv und geschickt predigte und verteidigte er auch seinen Glauben. Dabei kehrten die Nächstenliebe und das Leben als geistiger Kriegsdienst, auf den er die Gläubigen vorbereiten wollte, immer wieder. So beschrieb Melchior Grossek Lichtenbergs Gebet „wie ein Sturmangriff, als wolle er den Himmel zur Kapitulation zwingen“ und seine Predigten soll er gesprochen haben „als ob die Posaunen des Jüngstengerichtes die Grundfesten erzittern ließen.“ In dieser Weise verurteilt er die Hetze gegen die Juden und die „nichtarischen Christen“ und rief immer wieder zur Nächstenliebe auf. Dabei hielt er gefährliche Kanzelvermeldungen immer selbst, auch wenn er die Messe nicht selbst hielt, wie zum Beispiel über den Raub des Priesterseminars in Grünau 1941.
Wegen seiner Beliebtheit, seines hohen Ansehens und seiner hohen kirchlichen Stellung verhaftete ihn die Gestapo nicht sofort, da sie ein zu großes Aufsehen befürchteten. Nicht zuletzt wegen seiner temperamentvollen zuvorkommenden Art, seines rhetorischen Geschicks und seines Muts, die ihn sehr bekannt gemacht hatten. Nach einem Abendgebet, in dem wie gewöhnlich auch Menschen, die die Kirche besichtigten, anwesend waren, erstatteten zwei rheinische Studentinnen Anzeige gegen ihn. So wurde er am 23.10.1941 von der Gestapo festgenommen.
Schon zuvor war er schwer krank. Er litt unter einem Herzleiden und erlitt bereits 1939 Zusammenbrüche. So kam Lichtenberg schwer krank in Untersuchungshaft, wo er 7 Monate bis zu seinem Urteil war und immer wieder Herzanfälle erlitt. Auch dort fiel seine außergewöhnliche Art auf. Er sang und betete mit seinem Zellengenossen. Dies wurde zunächst verspottet, doch blieb er sich und Christus immer treu. Auf Grund seiner körperlichen Beschwerden versuchte Bischof Preysing ihn in ein Privatkrankenhaus verlegen zu lassen. Jedoch wurde dieses Anliegen vom Justizministerium mit der Begründung, dass er sich genauso verhalten würde wie vor der Verhaftung abgelehnt.
Darauf folgte am 22.5.1942 seine Hauptverhandlung im Sondergericht Berlin I, wo ihm zwei Vergehen vorgeworfen wurden: Der Kanzelmissbrauch, da er öffentlich für Juden und nichtarische Christen betete und dies auch mit dem Hintergrund der Reichskristallnacht bekannte. Dieses Verhalten wurde als Gefahr für den öffentlichen Frieden gesehen. Der zweite Anklagepunkt war das Vergehen gegen das Heimtückegesetz, also das „Angreifen einer leitenden Persönlichkeit der Partei und des Staates auf gehässige, hetzerische und aufreizende Art und Weise, sowie ihr Ansehen und die Rechtssicherheit in der Öffentlichkeit gefährdet“ zu haben. Dies sollte er in den Vermeldungen für den folgenden Sonntag vorgehabt haben. Da die Gestapo eine vorbereitete Vermeldung gegen ein Hetzflugblattes der Partei, in der ein amerikanischer Jude Theodor Nathan Kaufmann als Sprecher des Weltjudentums beschuldigt wurde, den Befehl zur Ausrottung der Deutschen gegeben zu haben, fand. Lichtenberg kritisierte dies in seiner Vermeldung und konterte die Androhung des Hetzblattes, dass jeder des Verrates am eigenen Volk beschuldigt wurde, der aus „falscher Sentimentalität die Juden irgendwie unterstützt oder [ihnen] nur freundlich entgegenkommt“ mit dem Satz „Laßt Euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern handelt nach dem strengen Gebot Jesu Christi: ´Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst`“. Da der Reichspropagandaminister dieses Flugblatt erlassen hatte, sah man diese Vermeldung als Vergehen gegen das Heimtückegesetz an und besonders der Aufruf, sich nicht beirren zu lassen, wurde als Aufforderung zum Ungehorsam und damit als Gefährdung der Öffentlichkeit eingestuft. Dabei kam der Brief an den Reichsärzteführer nicht zur Anklage, um die dort aufgedeckten Verbrechen nicht einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen. Er wurde unter diesen beiden Anklagepunkten zu zwei Jahren Haft im Strafgefängnis Tegel in Berlin verurteilt.
Im Strafgefängnis wurde sein Gesundheitszustand immer schlechter, sodass er einige Male im Lazarett lag. Doch hielt er alles getreu seines Mottos „Wie Gott will – ich halte still“ aus. Bischof Graf Preysing versuchte auf Grund Lichtenbergs lebensgefährlichen Zustandes vergeblich eine Haftverschonung zu bewirken, genauso vergeblich wie die diplomatischen Versuche des Nuntius Cesare Orsenigo. Selbst der Papst nahm an seinem Schicksal teil und so rührte es den Prälaten sehr, diese Worte des Papstes von seinem Bischof übermittelt zu bekommen: "Es hat Uns […] getröstet, daß die Katholiken, gerade auch die Berliner Katholiken, den sogenannten Nichtariern in ihrer Bedrängnis viel Liebe entgegengebracht haben, und Wir sagen in diesem Zusammenhang ein besonderes Wort väterlicher Anerkennung wie innigen Mitgefühls dem in Gefangenschaft befindlichen Prälaten Lichtenberg". Doch diese Besuche und Lichtblicke waren wenig gezählt in seiner Haft. Er durfte einmal im Monat je einen Brief schreiben und empfangen, wie auch einmal in zwei Monaten Besuch bekommen. Er selbst beschrieb sein Dasein, wie das eines Kartäusers – in Isolation zur Außenwelt mit Handarbeit, Gebet und Studium nur ohne Messe. Jedoch wurde seine Strafarbeit wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustands etwas vermindert. Er verfasste während seiner Haft 153 Predigten, übersetzte metrisch 147 Hymnen und kümmerte sich von dort aus um die Geschäfte des Domes. Er schrieb beispielsweise Briefe an seine Haushälterin, dass Gastpriester aufgenommen werden und eine Familie in seinen Räumen untergebracht werden sollte. Auch kümmerte er sich um kleinere Angelegenheiten, wie die Erinnerung an den bunten Teller für die Kinder im Domhof. Er ging mit allen Zellengenossen kameradschaftlich um. Jedoch war er gegen Ende der Haft so krank, dass er bettlägerig wurde und beim Gehen gestützt werden musste. Zudem hatte er viel Wasser in den Beinen und Herzasthma. Jedoch wollte Lichtenberg keine Kompromisse eingehen, wie zum Beispiel ein Predigtverbot für seine Freilassung in Kauf zu nehmen, auch wenn es sein Überleben bedeutet hätte. Er selbst brachte den Vorschlag, als Jugendseelsorger nach Litzmannstadt (Lodz) ins Ghetto zu gehen, wo er wegen seiner Krankheit schnell gestorben wäre. Die Gestapo befürwortete dies zunächst, jedoch wurde es nie umgesetzt. In seinem letzten Brief kurz vor Ablauf seiner zweijährigen Haft zeigte er deutlich, dass er nicht an das Ende seiner Haft glaubte und seinen baldigen Tod annahm, auch wenn er noch, wie er schrieb, „Lebensmut für weitere 20 Jahre“ gehabt hätte.
Nach dem Ende seiner Haft in Tegel wurde er in Schutzhaft überstellt und über das Durchgangslager Berlin Wuhlheide zum Konzentrationslager Dachau überstellt. Am 3.11.1943 stoppte der Transport in der Stadt Hof, wo 200 Gefangene in das dortige Gefängnis überstellt wurden. Schon bald erkannte man seinen schlechten Zustand und brachte ihn wegen seiner Herz- und Nierenkrankheit, wie wahrscheinlich auch einer Lungenentzündung und hohem Fieber ins Krankenhaus, wo er am folgenden Tag dem 5.11.1943 gegen 18 Uhr starb. Die dortige Polizei gab den Leichnam frei, bevor die Gestapo eingreifen konnte, und er wurde am 16.11. in Berlin auf dem Friedhof der St.-Hedwigs-Kathedrale beerdigt. Papst Johannes Paul II. sprach ihn am 23.6.1996 selig. Dr. Gotthard Klein, Leiter des Diözesanarchivs Berlin wurde 2012 vom Bistum Berlin zum diözesanen Postulator des Heiligsprechungsverfahrens Bernhard Lichtenbergs bestimmt.
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